Freitag, 25. Juli 2008

4. Das Nest von Eumenes wagnerianus 



Nach den bisher publizierten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Beobachtungen an den Nestbauplätzen in der Nähe von Medellin erfolgt der Nestbau von Eumenes wagnerianus im Gegensatz zu anderen tonbauenden Hautflüglerarten, die kombinierte Nester mit mehreren Brutkammern erstellen, offensichtlich nach einem festgelegten Bauplan und mit einer gleichförmigen, archtitektonischen Symmetrie. Die Wespe baut dabei jeweils 6 Brutkammern in vertikaler Abfolge, d.h. die folgenden 5 Kammern werden "nach unten" an der obersten, erstgebauten Kammer angesetzt. Die Wespe "zementiert" dabei zuerst einen Ring aus feinsten Tonkügelchen auf den Bauuntergrund und erstellt auf diesem "Fundament" ein elliptisches Gewölbe. Dieser Hohlraum wird fast vollständig verschlossen, so daß nur an seinem unteren Rand eine kleine Öffnung verbleibt. Unmittelbar danach beginnt die Wespe den Wandungsansatz für die folgende Brutkammer zu bauen, so daß die Öffnung der jeweils letzten, fertiggestellten Butkammer mit einer kleinen, trichterförmigen Umbauung umgeben ist. Die fertiggestellte Brutkammer wird daraufhin mit grobkörnigerem Baumaterial ummantelt. Dieser "Außenverputz" dient dazu, die Tonkammer fest mit dem Bauuntergrund zu verbinden, ihre Außenseite zu verstärken und die genaue Lage der Nestkammer unkenntlich zu gestalten. Damit erreicht die Wespe einen maximalen Schutz vor Witterungseinflüssen, beispielsweise dem Aufweichen der Tonkonstruktion durch Feuchtigkeit, sowie dem Einwirken von Feinden, z.B. parasitischen Schlupfwespen, die mit Legebohrern durch eine zu dünne Tonhülle hindurch die sich entwickelnden Wespenlarven lokalisieren und anstechen könnten.



Nestbauplatz 1: Zwei im Bau befindliche Nester von E. wagnerianus. Das Oberste aus 2 fertiggestellten, ummantelten, verproviantierten und verschlossenen Brutkammern mit im Bau befindlichem, dritten Kompartiment; das Darunterliegende mit fertiggestellter dritter Brutkammer, die offensichtlich noch durch die Versorgungsöffnung mit Proviant gefüllt wird.




Die vorangegehende Abbildung zeigt ein 2- und ein 3-kammriges Nest von E. wagnerianus mit grobkörniger Ummantelung der fertiggebauten Nestkammern und mit den begonnenen Anbaustrukturen für die nächstfolgenden Brutkammern. In dieser Phase besteht für die nestbauende Wespe das Problem, daß zeitliche Unterbrechungen des Weiterbaues zum Einbau von Brutkammern durch andere Töpferwespenarten oder schmarotzende Dipteren in das Nest führen können. Dies ist auf dem folgenden Bild am Beispiel eines dritten, im Bau befindlichen Nestes am selben Bauplatz dargestellt, bei dem durch eine Wandöffnung in der linken Hälfte des Innenraumes des Brut-Kompartimentes deutlich die Umrisse mehrerer eingebauter, kleinerer Tonbrutzellen zu erkennen sind:


Nestbauplatz 1: Begonnenes Nest von E. wagnerianus. mit im Brutkammerinnenraum durch tonbauenden Brutplatzparasiten eingebauten, kleinen Tonbrutkämmerchen 



Ob die bauende Wespe in der Lage ist, diese Brutplatzparasitierung zu erkennen und in Folge dessen den Weiterbau an ihrem Nest abbricht, oder ob sie an der parasitierten Brutkammer unwillkürlich weiterbaut und diese mit eingebauten Nestparasiten fertigstellt, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht im Detail beobachtet worden. Anhand des untersuchten Nestbauwerkes 2 und den deutlich erkennbaren Einbauten von kleinern Töpferwespenneststrukturen in den letzten beiden Brutkammern kann jedoch vermutet werden, daß die ursprünglich nestbauende Wespe den Einbau kleinerer Tonbrutkammern nicht bemerkt und die jeweils begonnene Brutkammer trotz "Fehlbelegung" fertiggestellt hat.



Brutkammer 5 & 6 von Nest 2: In Brutkammern eingebaute "Kuckucks"-Tonneststrukturen.




Freigelegter Inhalt der Sekundärnester: Verpuppungshüllen der Brutplatz-parasitierenden Hymenoptere oder eines Hyperparasiten (Diptera sp. indet.).



Das hier dokumentierte Beispiel der primären Brutplatzparasitierung eines Eumenidennestes durch eine kleinere Brutkammern aus Ton erstellende Wespenart ist deswegen besonders interessant, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch die Brutkammern der "Kuckucks"-Wespe erneut parasitiert wurden. Die im Inneren der sekundär eingebauten Tonbrutkammern gefundenen, hülsenförmigen Verpuppungshüllen könnten auf Grund der Fotointerpretation unter anderem darauf schließen lassen, daß hier eine Dipterenart als Hyperparasit ihre Eiablage vorgenommen hatte. Doch soll hier im Folgenden der "Normalfall" von Nestbau und Brutentwicklung der Eumenide E. wagnerianus beschrieben werden. Ist der Nestkammerbau soweit fertiggestellt, beginnt die Wespe mit der Nahrungssuche für ihre Brut. Zur Verproviantierung jagt und sammelt sie ca. 8 Insektenlarven, wobei sie offensichtlich Lepidopterenlarven bevorzugt. Die Größe der eingetragenen Nahrung limitiert dabei der Durchmesser der Verproviantierungsöffnung zur letztgebauten Brutkammer. Die Beute wird von der Wespe bei der Jagd nicht abgetötet oder verletzt, um in der später verschlossenen Kammer bis zur Entwicklung der eigenen Wespenlarve möglichst lange als lebender Proviant zur Verfügung zu stehen. So ist eine langfristige Versorgung der heranwachsenden Wespenlarve mit frischer Nahrung sichergestellt. Zu beobachten ist aber eine Teilparalysierung der von der Wespe eingetragenen Beute. Die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkten Schmetterlingsraupen sind offensichtlich unfähig, die Nestbrutkammer durch die Verproviantierungsöffnung selbständig wieder zu verlassen während die Wespe erneut zur Weiterjagd wegfliegt. Ist die Brutkammer mit der zur Versorgung der eigenen Brut notwendigen Zahl lebender Raupen gefüllt, legt die nestbauende Wespe durch die Verproviantierungsöffnung hindurch ein Ei in die Brutkammer und verschließt den Kammerzugang. Anschließend wird der Weiterbau an der bereits begonnenen, folgenden Tonbrutkammer fortgesetzt und das Nest bis zum Erreichen der Maximalzahl (oder "Norm"-zahl) von 6 Nestkammern weitergebaut. Die Anlage der Nestkammern erfolgt dabei strikt parallel und nur in einer Ebene, so daß ein länglich-ovales, lateralsymmetrisches Nest von ca. 8 cm Länge und 3 cm Breite entsteht, dessen unteres Ende durch die charakteristische trichterförmige Umbauung der letzten Versorgungsöffnung gekennzeichnet ist. Durch die im Rahmen dieser Untersuchung gemachten Beobachtungen bezüglich der unterschiedlichen Metamorphosestadien in einem Nestkomplex wird dabei die interessante Frage aufgeworfen wie lange die nestbauende Wespe nach dem Versiegeln einer fertigen Brutkammer den Weiterbau an ihrer Nestanlage unterbricht um dann irgendwann zu der begonnenen Nest-Grundstruktur zurückzukehren und diese bis zum Erreichen der Normgröße aus 6 Brutzellen zu vollenden bzw. ob tatsächlich eine Wespen-Individuums – Nestkonstruktions-Bindung vorliegt oder ob an einer begonnenen Nest-Grundstruktur eines Individuums von E. wagnerianus andere Tiere derselben Art möglicherweise solange weiterbauen, bis die Normgröße des Nestes erreicht ist; das heißt, daß das 6-kammrige Tonnest von verschiedenen Individuuen zusammen nach einem allen Tieren dieser Art gemeinsamen Grundbauplan errichtet würde.

Die beiden, im Rahmen dieser Untersuchung näher betrachteten Nester hatten Dimensionen von 8 – 9 cm Länge, 3 - 4 cm Breite und einen Höhe von 1,5 – 2 cm. Beider Grundform war symmetrisch, länglich oval-elliptisch mit jeweils 6 parallel angeordneten Brutkammern, wobei die vorletzte Kammer des "leeren" Nestes leicht schräg verschoben angesetzt wurde.


Nestbauplatz 2: Seitenansicht des Nestes von E. wagnerianus an freiliegendem, einzelnem Felsblock auf Wiese. Im Hintergrund (über Farnwedel) Tonröhren eines Nestes einer weiteren Hymenopterenart.
 



Nestbauplatz 2: Aufsicht auf das im Folgenden beschriebene Nest von E. wagnerianus mit deutlich erkennbarer Grobkornstruktur des Nest-Außenverputzes und dem "Kragen" der letzten Verproviantierungsöffnung am unteren Nestrand.






Nestbauplatz 1: 2 im Bau befindliche über 4 verlassenen bzw. beschädigten Nestern von E. wagnerianus, darunter 2 fertiggestellte "Norm"-Nester an einer Felswand. Das im Text als Nest 2 beschriebene Bauwerk in dem sich keine Brut von E. wagnerianus fand, wohl aber die weiter oben bereits beschriebenen Sekundärnester, ist in der Bildmitte am unteren Bildrand zu sehen. Links in der Bildmitte ein "Orgelpfeifen"-Nest. Dieser Nestbautyp wird in Kolumbien zumeist Grabwespen (Familie: Sphecidae) der Gattung Trypoxylon, möglicherweise der Art Trypoxylon caementerium zugeschrieben.



Da von der Wespe nur die Kammerwandungen auf den Felsen "angemörtelt" werden, ist bei abgelösten Nestern ein Einblick in das Kammerinnere von der "Unterseite" her möglich. Die Brutkammern des Nestes 1 mit den drei fertigentwickelten bzw. fast reifen Metamorphosestadien und die Kammer der Wespenlarve waren gegen den Fels hin mit einer hauchdünnen, pergamentartigen Schicht versiegelt, die beim Ablösen des Nestes teilweise einriß. An den beiden letztangelegten Kammern mit Schmetterlingsraupen als Proviant für die hier noch nicht entwickelten Wespenlarven fehlte diese Pergamentschicht. Es ist somit zu vermuten, daß die Pergamentschicht durch Exkrete der Schmetterlingsraupen oder der Wespenlarve gebildet wird beziehungsweise daß sie von der Larve ähnlich eines Verpuppungskokons "gesponnen" wird.






Auffällig war, daß alle Schmetterlings-Larven in der letzten, offenbar erst vor Kurzem verschlossenen Kammer von einer Art zu sein schienen. Die Schmetterlingsraupen waren alle noch lebendig und bewegten sich in dem Nest, verließen es aber nicht selbständig, nachdem die Öffnung am Nestboden entstanden war. Offensichtlich erzeugt die Wespe durch den Fang (Biß), das Eintragen und möglicherweise auch durch ein Einstacheln in den Raupenkörper einen Lähmungsreflex bei dem gefangenen Tier. So verlassen die Beutetiere nach dem Eintransport in die Kammer diese nicht selbständig wieder durch die noch unverschlossene Trichteröffnung wenn die Wespe zur erneuten Beutesuche fortfliegt. Doch ist die Lähmung des Larvenkörpers weder unmittelbar tödlich noch irreversibel, wenn vor (oder kurz nach) dem endgültigen Verschluß der Kammer durch die Wespe ein äußerer Eingriff erfolgt. Dies wurde experimentell an den 8 lebenden Larven der ersten Kammer nachgewiesen. Diese wurden zur näheren Untersuchung aus der Kammer herausgenommen. Solange sie weiter in engem Körperkontakt auf der Untersuchungsfläche lagen, vollführten sie nur die auch im Nestinneren beobachteten, ungezielten Bewegungen. Nachdem jedoch alle Larven voneinander getrennt und vereinzelt waren, konnte bei einigen der Schmetterlingsraupen ein zunehmendes Wiedererlangen der Fortbewegungsfähigkeit beobachtet werden. Einen Teil der Tiere gelang es dann bereits nach wenigen Minuten die Fläche des Beobachtungstisches zu verlassen und sich zu entfernen. Wie bereits weiter oben im Zusammenhang mit der Beschreibung des Nestbaues erwähnt, ist im Zusammenhang mit diesem, am 17. März bei Medellin gefundenen Tonnest eine wissenschaftlich ausgesprochen interessante Fragestellung aufgeworfen worden, deren Klärung Bedeutung für die zukünftige Interpretation des Verhaltens solitär lebender Wespen haben wird. Wie durch die vorangegangene Abbildung dokumentiert, befanden sich alle möglichen "Entwicklungsstadien" der Wespenmetamorphose in nur einem Nestbau: von der adulten, fertigentwickelten Wespe, die kurz nach der Nestöffnung zu ihrem ersten Flug startete bis zum möglicherweise erst wenige Stunden zuvor abgelegten Wespenei. Letzteres ist zwar nicht gefunden und dokumentiert worden, doch ist zu vermuten, daß eine Eiablage durch das nestbauende Tier stattgefunden hatte, da die letzte Brutkammer mit den 8 lebenden Larven bereits verschlossen war. Die Dauer der Metamorphose von E. wagnerianus, wenn man denn überhaupt davon ausgehen kann, daß es einen feststehenden Zeitraum für diesen Entwicklungszyklus gibt, ist in der Literatur nicht beschrieben. In der Publikation "A solitary mud-daubing wasp, Brachymenes dyscherus (Hymenoptera: Vespidae) from Brazil with evidence of a life-cycle polyphenism / Revista Biología Tropical 47(4):949-958, 1999" des brasilianischen Biologen Evandro Camillo von der biologischen Fakultät der Universität Ribeirão Preto USP aus dem Jahre 1999 werden zwar Beobachtungen zu den Entwicklungsperioden von Eumeniden aus 60 gesammelten Nestern beschrieben, doch beziehen sich diese Daten auf die Schwesterart E. dyscherus, und sind auch insofern nicht repräsentativ für die Verhältnisse unter natürlichen Bedingungen, da die Entwicklung der Wespen in eingesammelten Nestern nur unter Laboratoriumsbedingungen beobachtet wurde. Trotzdem seien diese Daten hier zum Vergleich wiedergegeben. Die Dauer des Puppenstadiums für E. dyscherus gibt E. Camillo mit 16-25 Tagen für männliche Tiere und mit 19-28 Tagen für weibliche Tiere an. Für die Gesamtdauer des unreifen (immature) Stadiums berechnet Camillo die Kalendertage von der Nestsammlung (Ende April 1996) bis zum Schlupf der adulten Tiere. Für männliche Tiere ergeben sich daraus 158-309 Tage, für weibliche Tiere 167-320 Tage. Aus den Ende April gesammelten Nestern schlüpften also erstmals im September desselben Jahres fertigentwickelte Tiere, der größte Teil der Brut hatte dann im Dezember die Brutkammern verlassen. Bei manchen Tieren wurde eine "Diapause" beobachtet, das heißt ein Ruhestadium des Entwicklungszyklus, das dessen Dauer auf bis zu maximal 596 Tage ausdehnte. Aus diesem Ergebnis kann abgeleitet werden, daß sich entwickelnde Individuen von B. dyscherus in der Lage sind, unter Laborbedingungen fast zwei Jahre in ihren Brutkammern zu überleben und sich bis zum adulten Stadium fertigzuentwickeln. Aus 1.177 untersuchten Brutkammern mit Eiablage schlüpften dabei 655 adulte Wespen, was einer Überlebensrate von 55,65 % entspricht. Die mögliche Bedeutung äußerer Signale in der Natur, z.B. durch das den Nestbau aufsuchende Muttertier auf den Entwicklungszyklus der Wespen im Nest bzw. den Schlupfzeitpunkt zieht Camillo nicht in Betracht. Bei der Untersuchung der in Brasilen gefundenen Nester wird also davon ausgegangen, daß nach dem Nestbau in den ersten Monaten des Kalenderjahres eine ca. 4-monatige Entwicklungsphase vom Ei bis zur fertigentwickelten Larve notwendig ist, der ein bis zu 1-monatiges Puppenstadium folgt, bevor die fertige Wespe ihre Brutkammer verlassen kann. Wäre dies auch für die bei Medellin gefundenen E. wagnerianus – Tiere zutreffend, dann hätte die nestbauende Wespe etwa Mitte Oktober 2001 mit dem Nestbau begonnen, die ersten 3 Kompartimente relativ zügig aufeinanderfolgend angelegt, mit Larven und Eiern bestückt und verschlossen, wäre anschließend etwa im November 2001 wieder an den Nestbauplatz zurückgekehrt und hätte die Kammer 4 angebaut um dann erneut den Nestbau bis etwa Februar 2002 zu unterbrechen und dann im Abstand weniger Wochen das Nest fertigzubauen, d.h. die letzten beiden Kammern anzulegen, deren jüngste erst kurz vor dem Fundzeitpunkt des Nestes verschlossen worden war. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Zeit zwischen Oviposition und Schlupf aus dem Ei, die Dauer der Larvalentwicklung und des Puppenstadiums bei E. wagnerianus in Kolumbien und in der freien Natur deutlich schneller ablaufen könnten, so ist doch auffällig, daß die solitäre Wespe den Nestbau mindestens zweimal für mehrere Wochen unterbrochen haben müßte und zwar nach der Anlage von Kammer 1-3 und erneut nach Anlage von Kammer 4, bevor sie die Konstruktion, ihrem "Bauplan" entsprechend, fertigstellte. Anders ist das Vorhandensein einer schlupfbereiten Wespe und einer frisch verschlossenen Kammer mit lebendem Larvenproviant in ein und demselben Nest nicht zu erklären. Diese Erkenntnis ist zumindestens wissenschaftlich interessant, bedeutet es denn, das entweder eine enge individuelle Bindung zwischen Tonnestbau und solitärer Wespe bestünde, wobei bisher davon ausgegangen wurde, daß Tonnester erstellende Tiere - mit Ausnahme der mindestens zwei bisher bekannten, kolumbianischen, sozialen Wespenarten der Gattung Polybia sp., die komplexe Großnester aus Ton bauen - nach der Eiablage und dem Nestverschluß keinerlei Brutpflege betreiben; oder aber ein Zusammenwirken solitärer Wespen an einer gemeinsamen aber trotzdem nach einem festen Bauplan von immer wieder 6 parallelen Brutkammern eines Nestkomplexes angelegten Tonkonstruktion arbeiten, was dem bisherigen Konzept des "solitären" Wespendaseins den Aspekt des gemeinsamen "sozialen" Agierens zuweisen würde; und, sähe man die individuelle Bindung zwischen Nest und Wespe als gegeben an, eine mit sozialen Insekten wie etwa Bienen vergleichbare Orientierungsleistung der Wespe vorausgesetzt werden kann, die eine begonnene Nestkonstruktion auch nach dem Ablauf von Monaten noch exakt wiederfindet und "nach Plan" fertigstellt. Weitergehende Schlußfolgerungen zu diesem Thema auf Grundlage der in dieser Publikation ausgewerteten Untersuchungsdaten würden sich allerdings soweit im Bereich der Spekulation bewegen, daß an dieser Stelle darauf verzichtet werden soll. Doch wäre in diesem Zusammenhang der Entwurf eines Versuchskonzeptes zur visuellen Dauer-Dokumentation des Nestbaues von E. wagnerianus mittels einer CCD-Kamera am Nestbauplatz anzudenken, der einzigen Möglichkeit sichere Erkenntnisse über den Bau der Tonnester dieser seltenen Eumenide zu gewinnen. Nicht weniger interessant als die Betrachtung von Nest 1 gestaltet sich die Untersuchung von Nest 2, auch wenn kein einziges Entwicklungsstadium von E. wagnerianus in diesem Nest gefunden werden konnte und es selbst noch vollständig verschlossen war. Wie bereits oben erwähnt, war das Nest Teil einer Anlage von 8 ähnlichen Eumeniden-Nestern, die teils im Bau befindlich, teils verlassen waren. Die verlassenen Nester wiesen zahlreiche Wandperforationen auf, die teils durch schlüpfende adulte Wespen, teils aber auch durch Fraßfeinde oder Parasiten erzeugt worden sein könnten. Die "Standard"-Schlupföffnung von E. wagnerianus entsteht seitlich am Nestrand an der Nestkammerseite, an der die fertigentwickelte Wespe ihren Kopf gelagert hat. Mit ihren Mundwerkzeugen und oder Vorderbeinen lockert sie dort den Ton der Nestwandung, der wahrscheinlich zuvor mit Speichel angefeuchtet und von ihr aufgeweicht wurde. Ist die Schlupföffnung groß genug, zieht bzw. schiebt sich die Wespe aus der Nestkammer hinaus ins Freie. In der bereits oben zitierten Beschreibung des vermeintlichen Sceliphron-Nestes von Dr. H. Bischoff aus dem Jahre 1927 ist dies so dargestellt, daß alle Schlupföffnungen des Nestes in eine Richtung weisen, was bedeuten würde, daß sich alle Larven vor ihrer Verpuppung in ein und dieselbe Richtung ausrichten. Dies wäre bei einer Vertikalausrichtung der Kammern nicht ungewöhnlich, bei einer Horizontalausrichtung der Kammern stellte sich aber die Frage, wie sich die Larven eines Nestes gemeinsam orientieren würden. Nestöffnungen der Nachbarnester die nicht an den Nestseiten gelegen oder im Durchmesser größer als von der Wespe zum Schlupf beansprucht waren, wiesen auf eine wahrscheinliche Fremdeinwirkung von Räubern oder Brutplatzparasiten hin.




E. wagnerianus Adulte bzw. Larven wurden nicht im Nest gefunden. Da keine unmittelbare Detailuntersuchung von Nest 2 durchgeführt wurde sondern dieses nur in einem Schlupfkasten aufbewahrt wurde, der nicht hermetisch verschlossen gehalten wurde, besteht keine sichere Kenntnis über andere aus dem Nest geschlüpfte Arten, beispielsweise die Brutplatzparasiten aus Kammer 5 und 6. Die Verpuppungshülsen in den dort eingebauten Sekundärbrutkammern wurden bei der Detailbetrachtung dieses Nestteiles leer vorgefunden. Ebenso befand sich kein Insekt in Kammer 1 bis 4. Festzustellen ist derzeit hier nur anhand der Fotointerpretation, daß die Kammer 2 eine der Pergamentschicht von Nest 1 ähnliche aber anders gefärbte und strukturierte Basis zum Kammerboden hin aufwies, während die Kammer 4 in ihrem Inneren relativ frisches, da noch grün gefärbtes vegetabilisches Material enthielt, wahrscheinlich Grashalmabschnitte, an denen Krümmel klebten die möglicherweise als Exkrete von Schmetterlingslarven zu interpretieren sind. Die mögliche Interpretation zu letzterem Phänomen wäre, daß zur Ernährung, also zur längeren Frisch- und Lebenderhaltung der von der Wespe in der Brutkammer gesammelten Schmetterlingsraupen noch Stücke derer Futterpflanzen – eben der Grasabschnitte - miteingelagert wurden. Eine doppelte Vorratshaltung sozusagen, die ein erstaunliches ernährungsökologisches Wissen und Vorausdenken von Eumenes wagnerianus voraussetzen würde. Bei der zweiten Untersuchung des Nestes am 28. März 2002 war die Nesthälfte mit den Kammern 1-3 zwischenzeitlich durch Unachtsamkeit vom Aufbewahrungspersonal zerbrochen aufgefunden worden. Einzig verwertbare Angabe war die Bestätigung, daß keine Wespe in Kompartiment 2 vorhanden gewesen ist. Das an den Nestbauplätzen bei Medellin verwendete Baumaterial war bei relativ neugebauten Nestern von einer einheitlich gelblich-beigen Materialfärbung. Die an Nest 2 und einigen der beschädigten Bauten am Standort 2 (siehe Abbildung oben) auffällige, oberflächliche, blau-graue Einfärbung des Tones resultiert vermutlich von einem durch Feuchtigkeitseinwirkung geförderten Bewuchs mit Pilzen. Nester die Regen oder Träufelwasser ausgesetzt sind und deren Wandstruktur aufweicht, erleichtern Brutplatzparasiten und Prädatoren das Öffnen der Nestkammerwandungen, was auch eine mögliche Interpretation für die hohe Parasitierungs-, Prädations- oder Fehlentwicklungsrate an Nestbauplatz 2 sein könnte. Bezüglich dem von der Wespe für den Bau eines Brutkompartimentes und die anschließende Überdachung mit der grobkörnigen Schutzschicht benötigten Zeitaufwand finden sich Angaben zum Brutkammerbau von Eumenes (Brachymenes) dyscherus in der bereits zitierten Literatur von Camillo (1999). Dieser stellt fest, daß die nestbauenden weiblichen Tiere in der Lage seien, mehr als eine Brutkammer pro Tag fertigzustellen. Dazu führt er aus, daß ein am 27. März 1996 aus fünf Kammern bestehendes Nest, das "von einem einzelnen Weibchen gebaut worden sei" bei einer Nachkontrolle am 18. April 1996 – also 22 Tage später – aus 41 verschlossenen Brutkammern bestand. Davon ließe sich ableiten, daß – vorausgesetzt die einzelne Wespe habe auch alleine an dem Bauwerk weitergebaut - in 22 Tagen 36 Brutkammern von ihr neuangelegt wurden. Kombiniert man diese Berechnung mit der Erkenntnis, daß Eumeniden erst mit dem Bau einer neuen Brutkammer beginnen, wenn die letztgebaute fertiggestellt, verproviantiert und nach Eiablage verschlossen ist, so läge die Gesamtzeit, die der Wespe für den Kammerbau, die Überdachung, das Jagen und Sammeln von ca. 8 Schmetterlingsraupen, die Eiablage und den Nesteingangsverschluß zur Verfügung hätte bei ca. 6-7 Stunden. Unter äquatorialen Tageslängenbedingungen von maximal 12 Stunden und unter Abrechnung der frühen und späten Tagesstunden mit verminderter Insektenflugaktivität sowie unter Einbeziehung notwendiger Unterbrechungen der Bautätigkeit bei Regenfällen reduzierte sich dieser theoretisch bzw. kalkulatorisch zur Verfügung stehende Zeitrahmen allerdings deutlich. Um dies zu Überprüfen wäre es notwendig, die von einer Wespe pro Baumaterial-Sammelflug zur Wassersammelstelle und anschließend zur Tonsammelstelle sowie die anschließend zur Materialzubereitung und den Materialeinbau ins Nest benötigte Zeit mit der pro Transportflug eingetragenen Größe des Tonkügelchens in seinem Verhältnis der für die Gesamtkonstruktion benötigten Menge an Baumaterial in Korrelation zu setzen. Doch auch wenn dieses Verhältnis berechenbar sein mag, so relativiert die anschließende Verproviantierung wegen der Unwägbarkeit der in einem kurzen Zeitraum zu findenden Beutemenge einen genau kalkulierbaren Zeitrahmen. Es könnte natürlich sein, daß eine Wespe erst mit dem Bau einer Kammer beginnt, wenn sie zuvor eine Schmetterlingsraupen-Nahrungspflanze mit ausrechendem Jagdertrag lokalisiert hat und so sicher ist, daß sie nach Abschluß des "Rohbaues" auch innerhalb kürzester Zeit die zur Verproviantierung benötigte Beutemenge findet, ohne sich zu weit vom Nestbauplatz entfernen zu müssen. Dies würde auch die Gefahr der zwischenzeitlichen Brutplatzparasitierung minimieren. Die aus der Dauer der Entwicklungszyklen der im Nest 1 gefundenen Entwicklungsstadien abzuleitenden, wochenlangen Unterbrechungen des Nestbaues im Seitental des Valle del Aburra könnten ihre Ursache in klimatischen Bedingungen haben. Jahreszeitunabhängig fällt dort pro Tag zumeist ein starker Gewitterregen, was in der Volkssprache dem Ort den Beinamen "Cielo Roto" eingebracht hat. Zur Vervollständigung des Kapitels über den Nestbau seien hier nun noch die dem Autor bisher bekannten Beschreibungen der Eumenes (Brachymenes) - Nestkonstruktion aus der wissenschaftlichen Literatur zitiert. Antonio Giordano Soika, Boll.Mus.Civ.Storia Naturale Venezia, 1988 / 1990 cit: Saussure (1875) Eumenes chalicodomae "Etologia – H. de Saussure fece un primo accenno all´etiologia di questa specie: nella descrizione dell´E. chalicodomae afferma che l´esemplare è stato trovato in un nido di Chalicodoma; certamente si trattava invece del suo nido." Antonio Giordano Soika, Boll.Mus.Civ.Storia Naturale Venezia, 1988 / 1990 cit: Bertoni (1918) über Eumenes chalicodomae "Il nido del B. dyscherus è emiellitico, attacatto ad una parete o ad una pietra od anche a un tronco d´albero secco, e misura mm 40x80. È costituito da terra rossa e la sua superficie è granulosa ed irregolare" Kommentar: Der Nestbauplan entspricht der Nestarchitektur von E. wagnerianus. Carlos Sarmiento Monroy, Vespidos de Colombia, UNAL Bogotá1997 über E. wagnerianus "Struktur aus angehäuftem Ton, 9 cm lang und 5 cm breit mit dicken Wänden. Am unteren Ende mit einem konischen Kragen von 1,3 cm Durchmesser und 1 cm Höhe. Die Oberfläche des Nestes ist mit Tonklümpchen bedeckt, so daß die Außenstruktur körnig erscheint. Im Innenraum mit 6 horizontalen Kompartimenten, jede der Kammern mit unterschiedlicher Beute bestückt (Spinnen, Grillen, Larven, Schaben) wobei im letzten Kompartiment mit der Zugangsöffnung keine Wespenlarven bzw. Beutetiere vorhanden sind" Übersetzt aus dem Spanischen (Zanger 2004)Kommentar: Bezüglich des leeren, letzten Kompartiments kann der Fundzeitpunkt des betreffenden Nestes auch vor dem Füllen dieser Brutkammer mit Raupen gelegen haben.

Evandro Camillo, Rev.Biol.Trop. 47(4)1999 über E. dyscherus:

"The nests are constructed with mud of one ore more colors on the walls inside abandoned houses, located at least 1 m from the floor in dry locations with little light. The nest is constructed with the longer axis perpendicular to the ground with all the chambers joined to one another. The three first chambers are constructed one beside the other (first layer), and then one ore two over the first ones (second layer). After this, two parallel rows of chambers are constructed from bottom to top, always starting from the substrate surface. The second layer is constructed over the first layer, and than a third or a fourth, as maybe the case. After this, the female returns to the second row of the first layer and repeats the process. Once completed the nests are totally covered with mud, resulting in a distinctive shape. The surface is rough, and in some cases it is possible to distinguish the balls of mud. The width of this covering, 0,96 cm, was measured in one nest. generally this covering made it impossible to distinguish individual chambers." "Evidently females can construct more than one chamber per day." Kommentar: Die Beschreibung gibt weiterhin genaue Angaben zur Wandstärke der Kammern und zur Baumaterialsammlung durch die Wespe.



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